Der Hörder Neumarkt

Von Christa Wilke, Dortmund Hörde:

Das freundliche Viertel mit Flair im Schatten der Hochöfen Als der aus Iserlohn stammende Unternehmersohn Hermann DiedrichPiepenstock 1841 auf dem zur Burg gehörenden Gelände die Hermannshütte gründete, lebten in Hörde 1637 Menschen. Das schnell wachsende Unternehmen, dessen wechselvolle Geschichteam 30. April 2001 zu Ende ging, zog Arbeitskräfte aus allen Regionen an. Viele kamen aus den deutschen Ostgebieten aber auch aus der näheren Umgebung wie zum Beispiel dem Sauer- und Lipperland. Das kleine, freieAcker-, Bergbau-, und Handwerkerstädtchen – vorwiegend Nagelschmiede – entwickelte sich binnen weniger Jahre zu einem Industriezentrum. Es herrschte Wohnungsnot und für die ständig wachsende Anzahl der Arbeitssuchenden musste dringend Wohnraum geschaffen werden. Zwischen 1846 und 1923 baute der Hörder Hütten- und Bergwerksverein fünf Wohnsiedlungen und 2 Ledigenheime. Aber auch Vermögende Hörder Bürger sahen im privaten Wohnungsbau ihre Chance. Das Hörder Neumarktviertel, heute inmitten der Zukunftsprojekte Phoenixsee und Phoenix West gelegen, wurde um 1900 als gutbürgerliches Wohnquartier gegründet–im Zentrum  gelegen der für Hörde dringend benötigte zweite Marktplatz.Dessen gesamte Fläche war damals wie heute von Bäumen umsäumt und in der Mitte standen zwei große, aufwendig gearbeitete Kandelaber. Dieser geschichtsträchtige, öffentliche Platz hat in seinen über 100 Jahren viel gesehen. Er diente u.a. als Versammlungsort für Aufmärsche, Fahneneide, Kundgebungen und Darbietungen jeglicher Art. Zum Beispiel waren Hochseilartisten wie die damals berühmte Traber-Renz-Truppe und andere Schausteller zu Gast. Bei der Bevölkerung  ganz besonders beliebt waren die großen Jahr- und Wochenmärkte und manchmal hieß es auch: „Der Zirkus ist da!“. Über 50 Jahre war der Marktplatzder zentrale Punkt  für die große Osterkirmes. Von der heutigen Suebenstraße (bis zur Eingemeindung 1928 Düppelstraße)über die Gildenstraße(Schützenstraße) bis hin zur Beukenbergstraße (Grüner Weg) waren die Jahrmarktbuden aufgebaut. Regelmäßig am Donnerstag fand der beliebte und immer gut besuchte Wochenmarkt statt. Die Bauern und Händler aus der Umgebung hielten dort ihre Waren feil. Man traf dort Nachbarn und Bekannte und konnte neben seinen Einkäufen gleich die interessantesten Neuigkeiten mit nach Hause nehmen. Durch die im Laufe der Jahrzehnte auftretenden gesellschaftlichen Veränderungen verloren die normalen Wochenmärkte nach und nach an Attraktivität. Am 30. Dezember 2010 kam für den Wochenmarkt auf dem Hörder Neumarkt das amtliche „Aus“. Ein historischer Tag! Der letzte und einzige Marktbeschicker an diesem kalten, verschneiten Wintervormittag war der Eierhändler Ulrich Engel-Bösader. Mit  ihm endete eine 110jährige Ära. Nach Beginn des zweiten Weltkriegs wurden die schönen Gußkandelaber abmontiert und vermutlich für die Herstellung von Kriegsmaterial eingeschmolzen. 1939  nahm man das Pflaster auf um unter dem Neumarkt Luftschutzräume für die Bevölkerung zu bauen. Der Bunker hatte auf der nördlichen und südlichen Seite je einen Treppeneingang und bot Platz für circa 200 Personen. Er war, wie alle Bunker, in erster Linie der deutschen Bevölkerung vorbehalten. Fremdarbeiter und Gefangene hatten in der Regel keinen Zutritt. Bei dem schweren Bombenangriff am 14. März 1945 fanden aber auch ausländische Fremdarbeiter aus dem Lager im Saal der Gastwirtschaft Rode dort Zuflucht. Bei den Luftangriffen auf Dortmund fiel auch im Neumarktviertel ein Teil der vorwiegend im Jugendstil erbauten Häuser den Bomben zum Opfer. Der Neumarkt Bunker diente nach Kriegsende zeitweise dem Großhändler Fuhrländer aus der Gildenstraße als Kartoffel- und dem Möbelhaus Reinking, ansässig am Neumarkt 8-12, als Möbellager für seine Einrichtungsgegenstände. Eine Zeitlang wurden dort auch Pilze (Champignons) gezüchtet. In den 50er Jahren wurden die Geländer für die Bunkereingänge abmontiert und die Treppenabgänge und Belüftungsschächte zugeschüttet. Die Trümmerhaufen ringsherum verschwanden und die  zerstörten Jugendstil Häuser wurden nach und nach durch Neubauten ersetzt. Der Hörder Neumarkt bot wieder ein geschlossenes Bild. Die Sozialstruktur der Bewohner hatte sich allerdings geändert. In dem ehemaligen Bürgerviertel wohnten und lebten jetzt vorwiegend Stahlarbeiter. Das Familienleben war geprägt von der harten Arbeit der Männer, die in 3fach Wechselschicht an den Hochhöfen und auf der „Hütte“ (heute Phoenix See) malochten. Die Wochenarbeitszeit betrug 48 Stunden plus der manchmal anfallenden Sonderschichten am Wochenende. Das menschliche Miteinander im Quartier funktionierte gut. In der Regel begegnete man sich freundlich und Nachbarschaftshilfe wurde groß geschrieben. Nicht ganz so leicht hatten es die tagsüber draußen herumtobenden Kinder. Sie wurden oft von besorgten Ehefrauen mit dem ärgerlichen Zuruf: „Los verschwindet hier, mein Mann hat Nachtschicht!“ von ihren jeweiligen Spielorten vertrieben.  Das Viertel hatte eine sehr gute, eigene Infrastruktur. Zahlreiche Fachgeschäfte und Handwerksbetriebe versorgten die Anwohner mit den Dingen des täglichen Bedarfs. Und alle hatte ihr gutes Auskommen. 1953wurde der Hörder Neumarkt durch einen neuen Brunnen verschönert. An seinem Rand, auf einem Sockel, stand ein Stahlkocher aus Bronze „Der Hüttenmann“, geschaffen von der Dortmunder Bildhauerin Friedel Dornberg. Jugendliche und Verliebte nutzten den Ort gern als Treffpunkt. 6 Jahre später – 1959 –  war er plötzlich vom Marktplatz verschwunden. Die Bürger sprachen von einer Nacht- und Nebelaktion da sie im Vorfeld keinerlei Informationen erhalten hatten. Der Hüttenmann war im wahrsten Sinne des Wortes an den Dortmunder Hauptbahnhof versetzt worden um dort die ankommenden Besucher der Bundesgartenschau zu begrüßen. Später hatte er für einige Jahre seinen Platz im Westfalenpark – mit Blick auf die Hochhöfen. Dem Hörder Heimatforscher Willi Garth ist es zu verdanken, dass er 2009 in seine alte Heimat zurückkehren konnte. Circa 300 Meter Luftlinie entfernt von seinem ursprünglichen Standort, dem Hörder Neumarkt, „bewacht“ dieser selbstbewusste Stahlkocher nun das Areal Phoenix-West. Als typische Figur einer vergangenen Epoche.

Von der IG zum Verein

In den 80er Jahren plante man die Umgestaltung des Hörder Neumarkts mit öffentlichen Mitteln. Die bis dahin vorwiegend als Parkplatz genutzte Fläche sollte ein Ort mit guter Aufenthaltsqualität für Kinder und Erwachsene werden. Der aus dem 2. Weltkrieg stammende Bunker unter dem Marktplatz wurde verfüllt, man pflanzte neue Bäume und stellte ringsherum Bänke auf. Die Arbeiten wurden 1988 abgeschlossen. In erster Linie genutzt wurde der Platz dann allerdings von Gruppen, deren Verhalten häufig Anlass zu Beschwerden und Polizeieinsätzen gab. Auch mit der Sauberkeit lag einiges im Argen. Das über die vielen Jahrzehnte in sich intakte Neumarktviertel wurde in der Öffentlichkeit zunehmend negativ wahrgenommen und die gesamte Anwohnerschaft gleich mit. Politik und Verwaltung waren gefragt. Auf dem Marktplatz fand eine Reihe von Bürgerversammlungen statt bei denen zeitweise bis zu 40 unzufriedene Personen anwesend waren. Ein Runder Tisch wurde ins Leben gerufen und dort immer wieder darauf hingewiesen, dass eine grundlegende Änderung der Situation nur aus der Bürgerschaft selbst zu erreichen sei. Nach gut zwei Jahren Vorlauf und reiflicher Überlegung faßte das Ehepaar Christa und Horst Wilke den Entschluss die Initiative zu ergreifen. Durch persönliche Ansprache der Nachbarn und Aushänge in den Geschäften rund um den Marktplatz taten sie ihre Absicht kund. Sie fanden Gleichgesinnte bei Anwohnern, Gewerbetreibenden und Haus- und Wohnungseigentümern. Das erste gemeinsame Treffen fand statt im Januar 2004, in einem Nebenzimmer der seit über 100 Jahren unter dem Namen „Haus Rode“ geführten Gaststätte direkt am Neumarkt. Zu diesem Zeitpunkt noch eine der für unsere Region typischen Arbeiterkneipen. Die IG Hörder Neumarkt ¼ war geboren! Sie verstand sich als lose Gruppe engagierter, ausschließlich ehrenamtlich tätiger Bürger ohne parteipolitische oder konfessionelle Ausrichtung. Über die Zielsetzung waren sich die Anwesenden sofort einig und der rege Gedankenaustausch führte gleich am ersten Abend zu einem Ergebnis. Unter dem Motto „Bürger für Bürger“ sollte im Viertel das nachbarschaftliche Miteinander gestärkt und der Hörder Neumarkt sowie das Wohnumfeld verschönert werden. Positive Aktionen und eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit sollten dazu beitragen dem Viertel seinen ursprünglich guten Ruf zurückzugeben. Das erste entsprechende Ereignis sollte ein Fest sein. Mit der Bekanntmachung: „Im Viertel tut sich was! Packen Sie´s mit an !?!“ wurden die Mitbürger gebeten sich an der Umsetzung des Vorhabens zu beteiligen.  Der Aufruf hat sehr gut funktioniert – auch bei den jungen Familien. Und so nahm die Sache ihren Lauf… Ohne einen Cent, aber mit viel Elan und Freude begann man gemeinsam mit den Vorbereitungen. Im Juli 2004 war es dann soweit: Das erste Hörder Neumarktfest – inzwischen eine feste Größe im Hörder Veranstaltungskalender – wurde gefeiert und war sofort ein Erfolg. Nach der Gründung traf sich die Gruppe über Jahre in der inzwischen nicht mehr bestehenden Gastwirtschaft „Keglerstuben“ an der Hochofenstraße. Der IG jederzeit mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben die Vertreter aus Politik, Verwaltung und dem Stadtbezirksmarketing. Verlässlich begleitet und unterstützt wurde sie in all der Zeit auch von Institutionen, Künstlern, den Kirchengemeinden und Geschäftsleuten, um nur einige zu nennen. Ein besonderer Dank gilt hier der Presse für die zahlreichen positiven Berichte über das Geschehen am Neumarkt. Aus der Bürgerschaft beteiligten sich ebenfalls viele freundliche und hilfsbereite Menschen. Im Nachhinein kann man sagen, dass ganz Hörde und Umgebung das „Experiment Hörder Neumarkt“ zum Erfolg geführt hat. Ein solcher Zusammenhalt macht Freude und gibt den Mut zum Weitermachen! Der Einsatz für den guten Zweck und das ehrliche Miteinander aller Beteiligten hat sich ausgezahlt. Was bislang für das Hörder Neumarktviertel erreicht werden konnte: * 12 große Nachbarschaftsfeste mit dem Schwerpunkt Kinderfest – für die legendäre Kuchentheke wurde im Viertel immer fleißig gebacken. Der Erlös der Feste kam als Spende zum größten Teil dem Hörder Spielplatzverein zugute * Es gab 4 gut besuchte Kunstmärkte und mehrere stimmungsvolle Treffen unterm Tannenbaum * 5 neue Spielgeräte wurden installiert – und es sollen mehr werden * Zudem konnte rund um den Platz ein Tempolimit von 20 km/h erreicht werden * Die Bepflanzung der Baumscheiben mit der Rosensorte: „Die schöne Dortmunderin“ und zwei zusätzlich aufgestellte Bänke – gespendet von der Firma Freundlieb und der IG – verbesserten weiter die Aufenthaltsqualität * Die künstlerische Gestaltung der Stromstation durch DEW21, z.T. mit Motiven aus der Historie des über 100 Jahre alten Marktplatzes ist eine weitere Bereicherung * Anlässlich des 9. Neumarktfestes wurde vom Jugendservicebüro der gehäkelte Wintermantel der Schlanken Mathilde zu einem Sommerkleid für die Stahlskulptur auf dem Hörder Neumarkt umgearbeitet. * 1000 Postkarten mit dem Aufdruck „Hörder Neumarkt – Mein Viertel“ gingen in alle Welt * Dank der nachträglichen Aufnahme in das Stadtumbaugebiet wurden die Stadtteilagentur und das Kulturbüro „extraWurst_hörde“ Am Heedbrink 29 eröffnet * Im Haus Rode richtete Marco Rudolph das gemütliche, „etwas andere“ NeumarktWeihnachtsWohnzimmer ein * Im Rahmen der Ruhr 2010 war der Hörder Neumarkt als Teil des Kunstprojekts „Fliegende Bilder“ von Adolf Winkelmann im Dortmunder U zu sehen Die Lebensqualität und somit auch die Wohnzufriedenheit der Bürger im Quartier Hörder Neumarkt wächst ständig. Bei gutem Wetter herrscht ein munteres Treiben auf dem inzwischen zum Mehrgenerationenspielplatz ausgebauten Neumarkt. Vor allem die Kinder haben ihre Freude und nutzen gern phantasievoll die ihnen gebotenen Spielmöglichkeiten. Der auf die Zukunft ausgerichtete, kontinuierliche Einsatz der IG trug und trägt weiterhin Früchte: Im Septembr 2014 gründete sich der gemeinnützige Verein  „Wir am Hörder Neumarkt“, der die Pionierarbeit der IG Hörder Neumarkt ¼ erfolgreich weiterführt. Inhalt: Christa Wilke (vielen Dank Christa), Gestaltung(Foto) Jürgen van Hoof, Juli 2019